Eine Entscheidung muss bei der Auswahl einer geeigneten Software für die Unterstützung von Businessprozessen oft in frühen Phasen getroffen werden: Standardsoftware kaufen oder massgeschneiderte Individualsoftware entwickeln lassen?
Im Beitrag STANDARD VS. INDIVIDUALSOFTWARE habe ich die Unterschiede zwischen den beiden Arten von Software erklärt. Nun möchte ich in diesem Beitrag «Beispiele für Individualsoftware» aufzeigen, in welchen konkreten Fällen bei Edorex die Wahl auf Individualsoftware gefallen ist. Soviel vorweg: Die Gründe sind sehr kontextabhängig und dementsprechend vielfältig.
Beispiel 1: Ein einzigartiges Geschäftsmodell
Für die digitale Abwicklung der Prozesse von der Auftragsannahme über die Abwicklung bis hin zur Rechnungsstellung sucht die im sozialen Umfeld tätige Firma (KMU) eine geeignete Software. Das Problem dabei: Das Geschäftsmodell der Firma ist einzigartig. Keine zweite Firma in der Schweiz oder im deutschsprachigen Ausland hat vergleichbare Prozesse. Die Versuche, bestehende Standardlösungen so anzupassen, dass sie dafür eingesetzt werden können, gipfeln in einer kaum mehr zu bewältigenden Komplexität mit Medienbrüchen und Ausweichmanöver auf Excel & Co.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Firma schnell wächst und der grösste Auftraggeber (Öffentliche Verwaltung) die Regeln bezüglich Berichtswesen und Abrechnung in rascher Abfolge ändert.
Der Entscheid, eine «umgebogene» Standardlösung durch Individualsoftware abzulösen, wird nach einer eingehenden Analyse der End-zu-End IST-Prozesse und einer Richtpreisschätzung für die Entwicklung gefällt. Das UX-Design und die Entwicklung der Individualsoftware werden nach agilen Grundsätzen realisiert, die Mitarbeitenden des Kunden laufend mit einbezogen.
Der Nutzen der individuellen Software für die Firma ist gut. Changes können schnell umgesetzt werden und der Automatisierungsgrad insbesondere in der Auftragsabwicklung ist hoch. In den wertschöpfenden Bereichen geht das Wachstum weiter, während die Administration nur marginal mit neuen Fachkräften aufgestockt werden muss.
Beispiel 2: Ökosystem schrittweise aufbauen
Bei diesem Beispiel sieht die Produktvision von Anfang an vor, dass ein Ökosystem über mehrere Etappen entstehen soll. Begonnen wurde mit dem Kernstück, auf dem das gesamte System bestehend aus mehreren Apps und Anwendungen aufbaut. In kurzen Abständen von drei bis sechs Monaten werden die fertigen Software-Teile für die erste Anwendung an die wachsende Schar von Kundinnen und Kunden übergeben. Das Ökosystem besteht aus mehreren, ineinander greifender Anwendungen und Datenquellen, welche sich an zum Teil ganz unterschiedliche Zielgruppen wie Immobilienbesitzer, Liegenschaftsverwaltung, Unternehmen und Handwerksbetriebe andererseits richten.
Geht es beispielsweise bei der Liegenschaftsverwaltung darum, mit möglichst geringem Aufwand eine komplexe Abrechnung auf Knopfdruck auszulösen und zu kontrollieren, liegt beim Handwerksbetrieb der Fokus auf maximaler Unterstützung auf der Baustelle bei der Installation und dem Anschluss von Geräten mithilfe einer App. Die Datenbasis ist letztlich die selbe, die Sicht auf diese jedoch komplett unterschiedlich.
Auch bei diesem Beispiel ist Time-to-Market essenziell, damit das Ökosystem die angestrebten Wachstumsziele erreichen kann. Mit Individualsoftware kann innert kurzer Zeit ein neues oder geändertes Feature auf den Markt gebracht werden: Die Durchlaufzeit von der Spezifikation über das UX-Design und Entwicklung bis hin zur Produktivsetzung liegt im Bereich von wenigen Wochen. Der Aufbau dieses Ökosystems mithilfe von Standardlösungen aufzubauen, ist kaum zu bewältigen: Das gesamte System besteht aus einer grossen Anzahl unterschiedlicher Disziplinen, die sich zudem an jeweils andere Usergruppen richten. Die Basisinfrastruktur wie die Datenbasis, Security, Betriebsumgebungen, etc. wird von allen Bestandteilen gemeinsam genutzt.
Beispiel 3: Scanning-App für «Eye-readable Documents»
Auf den ersten Blick ist die Anforderung, aus «Eye-readable Documents» (wie die Europäische Versicherungskarte EHIC, Reisepass oder Identitätskarte) sensible Personaldaten für die Weiterverarbeitung zu extrahieren, eine Standardsoftware.
Jedoch gibt es auf dem Markt keine Lösung, welche den Anforderungen der Auftraggeber in allen Punkten entsprochen hätte. Bei breit angelegten Tests mit Versicherungskarten aus vielen Europäischen Ländern konnten auch die Hersteller von Scanning-Lösungen entweder nicht überzeugen oder die gescannten Daten sind irgendwo auf einem Server, ausserhalb der Kontrolle des Auftraggebers gespeichert.
Mit der Realisierung einer individuellen Softwarelösung – in diesen Fall eine native App für iOS und Android als Frondend – können die spezifischen Anforderungen an die Scanning-Funktionalität, die Sicherheit und Integrität der geschützten Verarbeitung und Datenhaltung der sensiblen Personaldaten vollumfänglich abgedeckt werden. Dass die Gesamtlösung nach nur sechs Monaten ab Projektbeginn in den Betrieb übergeben werden kann, ist ein weiteres Plus und spricht in diesem Fall ganz klar für den Entscheid, auf eine Indivitualsoftware gesetzt zu haben.
Beispiele für Standardlösungen
Daneben gibt es zahlreiche Situationen in praktisch jedem Unternehmen, wo sich die Frage nach Standard- oder Individualsoftware gar nicht stellt. Hier eine Liste von klassischen Fällen für den Einsatz einer der unzähligen Standardlösungen am Markt:
- CRM
- Ticketing, Service Desk
- ERP und Buchhaltung
- PPS
- CMS
- Personaladministration, Zeiterfassung
- Büroautomation
- Kommunikation, Collaboration
- E-Commerce, Shop-Integration, Zahlungssysteme
- Spezifische integrierte Branchenlösungen oder Verbandslösungen
- und so weiter
Fazit
Offensichtlich ist es so, dass der grösste Teil der angebotenen Standardlösungen für jene Unternehmensprozesse ausgelegt sind, die sich von Firma zu Firma nicht grundlegend ändern (Buchaltung bleibt Buchhaltung). Diese Prozesse sind es aber nicht, die darüber entscheiden, ob sich eine Firma mit einem Produkt am Markt von den Mitbewerbern abheben kann. Es sind oft die sehr spezifischen Prozesse wie beispielsweise für eine einzigartige Dienstleistung, ein neuartiges Produkt oder ein spezielles Serviceangebot, welche mithilfe von Individualsoftware den wesentlichen Unterschied in der Wahrnehmung bei Kundinnen und Kunden ausmachen und so einen wesentlichen Beitrag zu Erfolg oder Misserfolg eines Produkts oder einer Dienstleistung beisteuern.