2. Mai 2022

Beat Muster

Leiter Marketing & New Business

Ein «Medienbruch» entsteht in der digitalen Abwicklung eines Prozesses, wenn im Übergang von einem zu anderen Prozessschritt das Arbeitsmedium gewechselt wird.

Wenn es um Digitalisierung und die Optimierung von Prozessen in Unternehmen geht, kommt man früh auf Medienbrüche zu sprechen. Was das genau ist, haben wir im Blog «Was ist ein Medienbruch» besprochen. Gerne möchte ich hier veranschaulichen, welche Auswirkungen ein Medienbruch haben kann. Dazu ziehe ich einige Praxisbeispiele aus über 30 Jahren Erfahrung heran.

Der Klassiker

Auch heute noch, im Jahre 2022, treffe ich immer noch auf den Klassiker aller Medienbrüche: da wird mit viel Aufwand ein «Digitalisierungsprojekt» vorangetrieben, Geld und Ressourcen reingesteckt. Das Resultat ist im besten Fall eine Plattform, wo beispielsweise Behördengänge «digitalisiert» abgewickelt werden können. Nur: Das Prinzip wurde nicht durchgängig eingehalten, und so entsteht der Klassiker aller Medienbrüche. Denn das Medium, welches für den genannten Behördengang eingesetzt werden muss, ist ein PDF-Formular. Dummerweise muss das Formular handschriftlich unterzeichnet werden, damit es gültig ist. Das heisst: runterladen, ausfüllen am PC, ausdrucken (!), unterschreiben, scannen und wieder hochladen. Oder noch besser: das ausgedruckte Papier an eine Postadresse senden, wo es dann in einem Scanningcenter wieder digitalisiert wird. All dies gibt es heutzutage noch. Sogar kürzlich eingeführte Projekte nutzen diesen unsinnigen Umweg über PDF oder Papier.

Dieser Medienbruch ist teuer, fehleranfällig und ineffizient insbesondere für jene Personen, die das PDF zwecks Unterschrift ausdrucken und entweder selber scannen oder per Post versenden müssen.

Der versteckte Medienbruch

Der «versteckte Medienbruch» ist die meistverbreitete Variante, recht alt und eigentlich meistens harmlos. Für die Anwender:innen jedoch lästig und oft mit Fehlern behaftet. Dieser Medienbruch heisst Copy & Paste. Wird Copy & Paste verwendet, um einen Inhalt von A nach B zu bringen (von Word nach Excel oder so), ist das in Ordnung. Wird es aber verwendet, um nicht vorhandene Schnittstellen und Integrationen von Tools in geschäftlichen Prozessen zu überbrücken, ist es ein Problem. Zum Beispiel bei einem modernen Retail-System. Alle Artikel sind im Artikelstamm mit ihren Ausprägungen im Kassensystem hinterlegt. Fragt ein Kunde nun danach, ob ein bestimmter Artikel am Lager ist, muss die Artikelnummer per Copy & Paste vom Kassen- ins Lagersystem kopiert werden, damit eine Anfrage gemacht werden kann. Obschon beide Systeme webbasiert sind, gibt es auf der Benutzeroberfläche keine direkte Verbindung dazwischen. Da stellt sich natürlich sofort die Frage, wie im Backend ein Verkauf von der Front (POS) bis nach hinten in das Lagersystem (Position abbuchen) weitergereicht wird?

Copy & Paste resp. Ctrl-C und Ctrl-V sind sehr häufig verwendete Befehle. Wenn es darum geht, damit eine fehlende Schnittstelle zu ersetzen, treten Fehler im Prozess fast sicher auf.

Der Arbeitsrapport

Ebenfalls ein weit verbreiteter Medienbruch ist der Arbeitsrapport. Ein Auftrag wird digital vorbereitet, gezeichnet, geplant, ausgedruckt und dem Mitarbeitenden zusammen mit dem Arbeitsrapport auf Papier ausgehändigt. Dieser trägt alles ein, was für die Abwicklung des Auftrags notwendig ist: verbrauchtes Material, gefahrene Kilometer, geleistete Stunden, allfälligen Anpassungen. Alle Einträge werden handschriftlich vorgenommen und nach Abschluss des Auftrags in die Administration gegeben. Hier wird der Rapport manuell «digitalisiert» (also abgetippt), damit der Auftrag auch administrativ (Zeiterfassung, Material, etc.) und kommerziell (Rechnung, Nachkalkulation) abgewickelt werden kann.  Unleserliche oder vergessene Einträge, verlorene Rapporte, fehlendes Material etc. sind nur ein paar der möglichen Fehlerquellen – ganz zu schweigen vom administrativen Aufwand in der Erfassung. Abwandlungen davon sind die (manuelle) Zeiterfassung und das Laufblatt.

Papier als Datenträger ist nicht geeignet, wenn die darauf enthaltenen Daten in einem anderen System weiterverwendet werden. Das Handling von Papier mag in einer Werkstatt gegenüber einem Computer (Tablet, Handy) Vorteile haben, doch diese Vorteile werden durch die Nachteile aufgehoben. Hoher Aufwand bei der Datenerfassung, Fehleranfälligkeit, nicht aktuelle Daten sind nur ein paar dieser Nachteile.

Event-Tickets

Obschon es digital durchgängige Lösungen mit elektronischem Wallet für Event-Tickets gibt, ist das ausgedruckte Ticket für den Einlass zu einem Event Standard. Das geht dann so, dass man das Ticket bei einem Veranstalter via Webshop auswählt, bezahlt und entweder per Mail oder Download erhält. Der wohl grösste Teil der Tickets wird ausgedruckt und beim Einlass wieder gescannt. Nur wenige Anwender:innen verwenden die Möglichkeiten des elektronischen Wallets für ihre Tickets, allerdings ist der Weg dahin auch nicht immer ganz einfach und intuitiv.  Einfacher wäre es wohl, einfach die Handy-Nummer für den Empfang des Tickets zu verwenden? Lösungen wären vorhanden.

Ärztliches Zeugnis

Wer kennt nicht die blauen Zettelchen, die einem die Ärztin oder der Arzt ausstellt, wenn man gegenüber dem Arbeitgeber ein ärztliches Zeugnis benötigt. Meistens mit unleserlicher Handschrift ausgefüllt, immer auf Papier. Das Zeugnis wird dem Arbeitgeber ausgehändigt, welches dann im besten Fall durch das HR eingescannt und elektronisch an die Versicherung weiterleitet wird. Im schlechtesten Fall macht das HR eine Kopie für das Mitarbeiterdossier und schickt das Original zusammen mit einem Formular per Post an die Versicherung. Wie viele solcher Zeugnisse werden pro Jahr in der Schweiz ausgestellt und anschliessend manuell verarbeitet? Ein paar Millionen? Durchgängige digitale Lösungen sind im Entstehen, aber noch ist nichts umgesetzt. Eigentlich sehr spät, wenn man sich die Zahlen durch den Kopf gehen lässt.

Was ist ein Medienbruch?

Fazit

Wie die random ausgewählten Beispiele zeigen, gibt es auch in einer hochdigitalisierte Gesellschaft wie der unseren viele kleine, lästige und mitunter teure Medienbrüche, welche mit durchdachten, manchmal verblüffend einfachen digitalen Mitteln eliminiert werden könnten.
Die Erkenntnis dafür und der Wille, etwas zu ändern ist bei den Fachleuten immer vorhanden – was sich beispielsweise mit einem Design Sprint leicht beweisen lässt. Doch wenn es darum geht, die Investition in die neue, zukunftsfähige digitale Lösung zu tätigen, krebsen viele Unternehmensleitungen zurück, obschon der ROI unschlagbar kurz zu werden verspricht. Etwa nach dem Motto «Lieber nichts ändern, es funktioniert ja auch so.».

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